Interkulturelle Zusammenarbeit: «Vorurteile sind Gift.»
Interkulturelle Teams sind selten durchschnittlich. Entweder sind sie Überflieger oder sie scheitern. ZHAW-Professor Samuel van den Bergh spricht darüber, warum das so ist und welche Stärken interkulturelle Teams nutzen sollten.
Interview für HR Fachmagazin HR Today. 25. Juni 2018.
Herr van den Bergh, warum gibt es überhaupt kulturelle Unterschiede?
Samuel van den Bergh: Das Wichtigste vorweg: Unter einem interkulturellen Team verstehe ich nicht nur ein Team mit unterschiedlichen Nationalitäten, sondern in erster Linie ein vielfältiges Team. Uns beeinflussen die unterschiedlichsten Faktoren. Wir sind alle in einem unterschiedlichen Umfeld aufgewachsen und haben dadurch andere Wertvorstellungen und andere Vorstellungen davon, was normal ist. Was höflich, richtig und falsch ist. Wir kommen aus unterschiedlichen Berufsfeldern und vertreten unterschiedliche Generationen.
Interkulturelle Teams sind zu Spitzenleistungen im Stand, können aber auch gewaltig absaufen, weil sie unter ihrer Vielfalt leiden. Durchschnittlich sind sie fast nie. Das haben Untersuchungen gezeigt. Warum diese Spannweite?
Die Diversität interkultureller Teams bietet viele Chancen und viele Gefahren. Erfolgreiche Teams schaffen es, die Chancen zu nutzen. Teams, die scheitern, erliegen den Gefahren.
Funktionierende interkulturelle Teams sind unter anderem flexibel, kreativ und weniger anfällig für Gruppendenken. Warum?
Wenn Teammitglieder unterschiedliche Perspektiven, Ansätze und Erfahrungen mitbringen, wird dadurch das ganze Team kreativer: Es geht allen leichter von der Hand, verschiedene Problemlösungen und Alternativen zu entwickeln. Auch Flexibilität ist in gut funktionierenden interkulturellen Teams selbstverständlich, weil sowieso schon sehr viele Unterschiede aufeinandertreffen. Im homogeneren Umfeld tendieren Teams dazu, die Dinge so zu tun, wie sie schon immer gemacht wurden. In interkulturellen Teams sind von Grund auf verschiedene Ansichten da. Deshalb fällt es leichter, die Kollegen kritisch zu hinterfragen und traditionelle Methoden über Bord zu werfen.
Dafür sind interkulturelle Teams anfälliger für Missverständnisse. Die entstehen zum Beispiel durch unterschiedliche Erwartungen …
Ein typisches Beispiel ist die Meeting-Situation. Jemand, der aus einer eher sachorientierten Kultur kommt, möchte eine möglichst kurze Begrüssungsrunde machen und dann gleich auf den Punkt kommen. Menschen aus personenorientierten Kulturen müssen ihre Kollegen aber zuerst kennenlernen und Vertrauen fassen, damit sie gut arbeiten können. Und dafür ist eine stiere Sitzung einfach eine schlechte Plattform. Wenn solche unterschiedlichen Erwartungen ungeklärt bleiben, können Vorurteile entstehen – und die sind Gift für die Zusammenarbeit.
Wie genau entstehen Vorurteile?
Hier ein Beispiel: Jemandem aus einer eher personenorientierten Kultur ist es wichtig, mit den Kollegen ins Gespräch zu kommen. Wenn wir ihn nun öfters bei Kaffeepausen sehen und kein Ethnorelativismus – also interkulturelle Intelligenz – da ist, denken wir, er sei faul. Die Steigerung ist dann das stereotype Bild, dass etwa «die Italiener» – schön ausgedrückt – einfach etwas weniger fleissig sind als «die Schweizer». Dadurch kann eine Wir-Sie-Situation entstehen. Und aus dieser kommt man nur schwer wieder heraus.
Wie kann man Vorurteile vermeiden?
Indem man dem Team am Anfang genug Zeit gibt, um eine Teamkultur zu schaffen. Das ist der beste Weg, Vorurteile gar nicht erst entstehen zu lassen. Je vielfältiger ein Team ist und je weniger Erfahrung das Team bei der internationalen oder interkulturellen Zusammenarbeit hat, desto mehr Zeit braucht es dafür am Anfang. Wenn man einem Team diese Zeit nicht gewährt, stehen die Chancen gut, dass die Zusammenarbeit nie funktionieren wird. Und dann verliert man viel mehr Geld, als wenn man ihm am Anfang ein bisschen mehr Zeit gegeben hätte. Diese Zeit holt das Team wieder ein, wenn es seinen Auftrag erledigt: Weil seine Mitglieder beweglicher, flexibler und toleranter sind. Und weil sie wissen, wem was wichtig ist und wer wie arbeitet. So sind sie in dieser Phase schneller.
Was ist mit sprachlichen Problemen?
Wenn bei internationalen Teams nicht alle Teammitglieder die Arbeitssprache gleich gut beherrschen, kann das natürlich Schwierigkeiten bereiten. Gleichzeitig bringt dieser vermeintliche Nachteil auch einen Vorteil: Man ist gezwungen, sich bei der Kommunikation auf das Wesentliche zu fokussieren. Darüber hinaus ist es auch nicht nur die Sprache, die interkulturellen Teams zu schaffen machen kann – auch weniger offensichtliche Nuancen in der Kommunikation können zu Missverständnissen und Ablehnung führen: Beispielsweise werden im orientalischen Raum Sprechpausen eingesetzt, um Respekt zu zeigen. In lateinischen Kulturen signalisieren die Menschen ihr Interesse an einer Diskussion gerade dadurch, dass sie andere während des Gesprächs mit ihrer Meinung unterstützen.
Besonders viele Reibungen entstehen, wenn Kulturen zusammenarbeiten, die scheinbar «gleich» oder «ähnlich» sind. Das ist aber gar nicht so paradox, wie es scheint …
Eine Kollegin von mir hat dieses Phänomen mit folgenden Worten auf den Punkt gebracht: «Mini Differences, Maxi Disturbances». Der Grund dafür ist einfach: Wir gehen nicht davon aus, dass Unterschiede da sind oder spielen diese herunter. Deshalb kommen wir nie zu dem Punkt, an dem man angemessen mit diesen Unterschieden umgeht oder diese sogar nutzt.
Damit interkulturelle Teams ihre Stärken entfalten können, brauchen sie nicht zuletzt die passende Aufgabe.
Eine wichtige Stärke von interkulturellen Teams ist ihre Flexibilität und Kreativität. Das ist eine gute Voraussetzung, um komplexe und unstrukturierte Aufgabenstellungen zu lösen. Für komplexe Aufgaben braucht es auch Komplexität im Team. Schlechte Voraussetzungen bringen interkulturelle Teams für repetitive und stark strukturierte Aufgaben mit, die viel Koordination erfordern.
Zur Person
Samuel van den Bergh ist Dozent für Interkulturelle Kommunikation an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften und leitet Workshops in Unternehmen.
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